„Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen?“ – Über diskriminierende Selektionsprozesse beim Kita-Zugang

Verfasst von Koordinierungsstelle

Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) untersucht Ursachen, Ausmaß und Folgen von Rassismus in Deutschland. Bei der Fachveranstaltung „Die Kita als umkämpftes Feld: Selektionsprozesse beim Zugang zur Kita“ Anfang Februar stellte Dr. Seyran Bostancı am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zentrale Ergebnisse einer DeZIM-Studie zu Institutionellem Rassismus in der Kindertagesbetreuung vor und analysierte diese im Anschluss mit Expertinnen aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung.

Die Studie beschäftigte sich mit der Frage, wie institutioneller Rassismus auf den Zugang und die Bildungsbeteiligung von rassifizierten Kindern in Kitas wirkt. Anhand der Forschungsergebnisse verdeutlichte Bostancı in ihrer Keynote, wie institutionelle Strukturen zu rassistischen Diskriminierungen und Ausschlussprozessen bei der Kitaplatzvergabe führen können. Sie benennt dabei Logiken wie etwa den „Mythos Warteliste“ mit seinen intransparenten Zugangs- und Auswahlverfahren und rassistische Selektionspraktiken. Der Mangel an verfügbaren Plätzen spiele eine entscheidende Rolle, denn der Druck im Feld sei hoch – fehlendes pädagogisches Fachpersonal und die knappen KiTa-Plätze führten dazu, dass die Nachfrage das Angebot deutlich übersteige. In dieser Situation würden insbesondere deutschsprachige und bildungsbürgerliche Familien ohne Migrationshintergrund bevorzugt, während Kinder, die rassistisch markiert sind, benachteiligt würden. Die Lücke zwischen Bedarf und Betreuungsgrad sei hier mit 20,5 Prozent im Vergleich zur Lücke von 11 Prozent bei Kindern ohne oder mit nur einem Elternteil mit Migrationshintergrund besonders gravierend. In der Folge würden Abhängigkeiten intensiviert, die es Eltern erschwerten, gegen Rassismus vorzugehen. Das Fehlen von Diskriminierungsschutzmaßnahmen und ein mangelndes Bewusstsein bei Fachkräften würden die Bedingungen, in denen rassistische Auswahlsysteme entstehen können, noch verstärken.

Diese Erkenntnisse reihen sich ein in die Ergebnisse einer explorativ-qualitativen NaDiRa-Pilotstudie zum Umgang mit institutionellem Rassismus in Berliner Kitas aus dem Jahr 2022. Darin wurde anhand semi-strukturierter Interviews mit Eltern und Expert*innen belegt, dass die teilnehmenden Familien institutionellen Rassismus in Kitas durch diskriminierende Annahmen und Alltagsroutinen sowie durch Bildungsmaterialien ohne positive Identifikationsfiguren für BPoc-Kinder erfahren. Rassismuskritik wurde teils unterbunden, indem die Kitas Erfahrungen herunterspielten oder Veränderungsprozesse blockierten. Die Pilotstudie unterstreicht den erheblichen Forschungsbedarf im Feld Rassismus in der frühkindlichen Bildung in Deutschland.

In der anschließenden Podiumsdiskussion sprach Dr. Seyran Bostancı mit Nora Damme (Leitung des Referats „Ausbau der Kinderbetreuung, Bundesprogramme, Fachkräfte“ im BMFSFJ), Dr. Mohini Lokhande (stellv. Leiterin des Bereichs Forschung beim Sachverständigenrat für Integration und Migration),  Aida Kiflu (Kindheitspädagogin und Leiterin der ökumenischen Kita Killersberg, Stuttgart), Petra Wagner (Leitung der Fachstelle Kinderwelten Kinderwelten) und Susanne Blasberg-Bense (Dezernentin für Jugend, Familie und Bildung der Landeshauptstadt Hannover). Die Gäste diskutierten, welcher Schritte es bedürfe, um den rassistischen Ungleichheiten aktiv entgegenzuwirken und allen Kindern gleichberechtigte Zugangschancen zu den Angeboten der Kindertagesbetreuung zu ermöglichen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass die Problematik komplex und multifaktoriell sei und die Transformation deshalb auf struktureller, institutioneller und personeller Ebene angegangen werden müsse. Als Strategien und Forderungen wurden dabei etwa diskriminierungskritische und diversitätsbewusste Schulungen der pädagogischen Fachkräfte, die Etablierung von unabhängigen Beschwerdestellen, die in Fällen von Diskriminierung niedrigschwellig unterstützen können und die Vereinfachung des Quereinstiegs von ausländischen Fachkräften zur Verbesserung der Personalsituation benannt.  Auch solle der Fokus verstärkt auf die Perspektiven und Erfahrungen der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte gelegt werden.

Mit der Thematik von ungleichen Zugängen, Privilegien und Bildungschancen beschäftigt sich auch unsere nächste Podcastfolge, die Ende April erscheinen wird. Moderatorin Katrin Rönicke spricht darin mit Dr. Mohini Lokhande und Maria Lingens (Fachreferentin für Kita, Ganztag und Familie beim AWO Landesverband Berlin e. V.).