Stimmen aus der Wissenschaft: Theresa Lienau und Matthias Röck

Teresa Lienau (Projektleiterin) und Matthias Röck (wissenschaftlicher Mitarbeiter) sind im Forschungs- und Praxisprojekt “Medienerziehung im Dialog von Kita und Familie” der Stiftung Digitale Chancen tätig. Als Sprachwissenschaftlerin hat sich Teresa Lienau mit digitaler Kommunikation beschäftigt. Bei der Stiftung Digitale Chancen erforscht sie seit 2018, wie frühe Medienerziehung gelingen kann. Matthias Röck promoviert im Fach Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und forscht im Bereich der Mediatisierung.


Im Zuge der Corona-Pandemie haben digitale Medien in der Kindertagesbetreuung an Bedeutung gewonnen. Die amtierende Bundesregierung hat die Förderung digitaler Medienbildung im Elementarbereich erstmals im Koalitionsvertrag verankert. Inwieweit zeichnet sich damit ein Paradigmenwechsel in diesem Handlungsfeld ab?

Der Elementarbereich erfüllt längst nicht mehr nur Fürsorge-Pflichten, sondern wird politisch sowie gesellschaftlich als erste Bildungsinstitution gesehen. Dass die frühkindliche Bildung immer stärker in den Fokus der Politik rückt, zeigt zum Beispiel auch das 2019 in Kraft getretene „Gute-Kita-Gesetz“. Bereits 2004 wurde im „Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ festgehalten, dass Kinder lernen sollen, Medien zweckbestimmt und kreativ zu nutzen, um damit zum Beispiel eigene Werke zu erstellen. Der Gedanke ist also nicht neu. Bislang fehlt es jedoch an einheitlichen Konzepten, die länderübergreifend umgesetzt werden. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten Bildungspläne Medienerziehung in der frühkindlichen Bildung zwar vorsehen, jedoch in sehr unterschiedlicher Intensität. Auch die inhaltlichen Schwerpunkte und Ansätze gehen stark auseinander. Die Pandemie hat auf jeden Fall dazu geführt, dass das Thema ernster genommen wird und mehr Kitas angefangen haben, digitale Geräte stärker im Alltag zu nutzen. Es bleibt abzuwarten, wie die Bundesregierung ihre Pläne im föderalen System umsetzen wird – die stärkere Verankerung von Medienpädagogik war ursprünglich über das Bundesprogramm der “Sprach-Kitas” geplant, welches ja nun nicht weitergeführt wird.
 

In Ihrem Forschungs- und Praxisprojekt untersuchen Sie, wie (digitale) Medienerziehung im Dialog von Kita und Familie gestaltet werden kann. Wie kann die Einbeziehung der Eltern/Familien in die frühkindliche Medienbildung gelingen? Wie kann Vorbehalten sowohl auf Seiten der Eltern/Familien als auch der Fachkräfte begegnet werden?

Kinder machen ihre ersten Medienerfahrungen im familiären Kontext. Sie wachsen in Haushalten auf, in denen es ein sehr breites Repertoire an Mediengeräten gibt. Obwohl Eltern bei der häuslichen Mediennutzung und -erziehung mitunter großen Unterstützungsbedarf haben, wird die Kita noch immer von vielen Eltern und Fachkräften als ein medienfreier „Schonraum“ betrachtet. Oft ist weder Eltern noch Fachkräften klar, was mit einem gezielten medienpädagogischen Ansatz erreicht werden soll. Hier kommt es zunächst einmal darauf an, dass innerhalb der Kita geklärt wird, was die pädagogischen Ziele sind. Durch die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Medienerziehung und das Setzen gemeinsamer Ziele erlangt das Team Sicherheit und kann die medienerzieherische Arbeit auch gegenüber den Eltern besser vertreten. Dafür braucht es eine wertschätzende Teamkultur, in der offen diskutiert werden kann.

Der Dialog mit den Eltern gelingt nur, wenn er auf Augenhöhe stattfindet und die Vorbehalte und Sorgen der Eltern ernstgenommen und offen diskutiert werden. Die häusliche Mediennutzung ist für viele Eltern ein scham- oder schuldbehaftetes Thema, weshalb oftmals Hemmungen bestehen, sich gegenüber pädagogischen Fachkräften oder auch anderen Eltern hinsichtlich bestehender Probleme oder Herausforderungen zu öffnen. Ein Dialog mit den Eltern lässt sich deshalb nur auf einer soliden Vertrauensbasis führen. Das bedeutet auch, dass man Eltern nicht mit dem „erhobenen pädagogischen Zeigefinger“ begegnen darf. Vielmehr kommt es darauf an, Eltern zu informieren, sie für ihre eigene Vorbildrolle zu sensibilisieren und sich mit ihnen gemeinsame Ziele zu setzen. Die Elternschaft lässt sich nie nur über einen Kanal erreichen, dafür sind sie zu heterogen. Es hilft, verschiedene Formate auszuprobieren, insbesondere auch informelle Austauschformate. So eignen sich zum Beispiel Eltern-Kind-Nachmittage oder auch Elterncafés besonders gut, um in lockerer Atmosphäre ins Gespräch zu kommen. Bei solchen Anlässen können Eltern gemeinsam mit ihren Kindern Anwendungen und Geräte ausprobieren, mit denen in der Kita gearbeitet wird. Das trägt wesentlich dazu bei, Vorbehalte abzubauen und sich differenzierter mit dem Thema auseinanderzusetzen.
 

Inwiefern können aus Ihrer Sicht digitale Medien die Partizipation und Inklusion von Kindern in der Kindertagesbetreuung fördern? Können Sie Beispiele aus der Praxis nennen?

Mit dieser Frage hat sich eine unserer Projekt-Kitas ganz besonders auseinandergesetzt, die viele Kinder mit besonderen Bedürfnissen betreuen. Das Team hat die Vor- und Nachteile der medienpädagogischen Arbeit lange und intensiv diskutiert. Sie haben dann aber immer mehr Situationen gefunden, wo sie gerade Kinder mit besonderen Bedürfnissen gezielt fördern können. Sei es in der Sprachförderung oder um Kindern mehr Möglichkeiten zu geben, sich auszudrücken und Bedarfe zu äußern. Es gibt immer mehr Angebote, wie zum Beispiel digitale Bücher auf Gebärdensprache oder Kinderroboter, die auch von blinden Kindern bedient werden können.

Aber auch in den anderen Kitas haben die Fachkräfte die Erfahrung gemacht, wie begeistert Kinder auf die kreative und gestalterische Medienarbeit reagieren. Viele Erzieher*innen berichten, dass sie einzelne Kinder in ganz anderem Licht sehen und sich neue Talente zeigen. Eine Fachkraft hat uns zum Beispiel davon berichtet, dass ein Kind zum Sprechen angeregt wurde, indem sie gemeinsam über das Tablet Gegenstände zum Leben erweckt haben. Dies habe bei der Sprachentwicklung enorm geholfen. Digitale Medien können Kindern neue Zugänge zur Welt eröffnen und ihnen die Möglichkeit geben, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Teilweise haben die Kinder auch den Eltern erklärt, wie zum Beispiel eine Schlüssellochkamera funktioniert – das hat auch den Dialog zwischen Eltern und Kindern verändert.
 

Was sind derzeit die größten Herausforderungen und Hindernisse für den Einsatz digitaler Medien in der pädagogischen Arbeit mit jungen Kindern? Welche Unterstützung braucht es?

Ein großes Problem ist, dass oft nicht klar ist, was mit Medienerziehung überhaupt gemeint ist. Im familiären Kontext wird darunter meist verstanden, die Nutzungszeiten zu reduzieren. Ein gezielter pädagogischer Ansatz will aber etwas Anderes, es geht stärker um die Frage, wie und wofür digitale Medien genutzt werden, als nur um die Frage des zeitlichen Rahmens. Um das zu erklären, hilft es, konkrete Beispiele zu zeigen, damit man sich über die gleiche Sache austauscht – so können auch viele Abwehrhaltungen und Sorgen aufgefangen werden.

Ein zweites Problem ist, dass medienpädagogisch arbeitende Kitas noch recht vereinzelt arbeiten. Sie müssen oft bei Null beginnen und viele Fragen klären: Welche Geräte sind sinnvoll? Welche Ziele werden verfolgt? Wo findet man gute Apps und Materialien und was gibt es beim Datenschutz zu beachten? Dafür fehlt schlicht oft die Zeit – insbesondere auch für den wichtigen Austausch mit den Eltern. Hier braucht es Unterstützung von außen: durch die Träger und die Politik.
 

Vielen Dank für das anregende Gespräch!

© Lukas Kozmus
© Matthias Röck