Auch in der Kita können Kinder bereits Rassismus erleben. Umso wichtiger ist es, dass die pädagogischen Fachkräfte das nötige Wissen und entsprechende Handlungskompetenzen haben, um den Situationen angemessen begegnen zu können. In einem dreistündigen Workshop erläuterte die Autorin und Diversity-Trainerin Dr. Nkechi Madubuko, wie bereits kleine Kinder Rassismuserfahrungen machen, welche psychischen und physischen Auswirkungen dies haben kann und welche Interventionsmöglichkeiten es gibt.
Im ersten Teil beschäftigte sich der Workshop mit der Frage, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert sei und wie er sich in frühkindlichen Bildungseinrichtungen zeigen könne. Gemeinsam mit den Teilnehmenden wurde überlegt, wie ein Rassifizierungsprozess dabei ablaufe. Rassifizierung beschreibt den Vorgang, von anderen „gelesen“ und eingeordnet bzw. abgewertet und entsprechend schlechter behandelt zu werden. Dr. Madubuko erklärte die strukturelle Verankerung von rassistischen, historisch gewachsenen und machtvollen Vorurteilen, Routinen und Stereotypen in der Gesellschaft. Ausgehend von einer Normvorstellung, der man selbst angehöre, werde das sogenannte „Othering“ praktiziert, bei dem das Gegenüber als andersartig markiert werde. Beispielsweise würden dabei Körpermerkmalen, kulturelle Handlungsmuster oder Mentalitäten pauschalisiert und in eine Ordnungsvorstellung gebracht, die das als „Anders“ gelesene abwerte und daraus entsprechende Handlungen ableite. Rassistische Diskriminierung könne also anhand dieser Form von Homogenisierung, Naturalisierung und Pauschalisierung erkannt werden.
Dr. Madubuko ging anschließend genauer darauf ein, wie sich Rassismus in Kindertageseinrichtungen zeige und wer potentielle Akteur*innen seien. Sie verwies dabei auf eine Studie von Dr. Seyran Bostancı zum Umgang mit institutionellem Rassismus in Berliner Kitas. Rassistische Botschaften würden sich an vielen Stellen im Kita-Alltag zeigen, etwa in Spielinhalten, Lernräumen oder Liedern. Gemeinsam mit den Teilnehmenden betrachtete Dr. Madubuko verschiedene Kinderbücher und -lieder und sprach über die Reproduktion von eurozentristischen und rassistischen Denkmustern in den Medien. Dabei wurde festgestellt, dass die diskriminierenden Darstellungen vor allem aus einem weißen Blickwinkel erfolgten und diffamierende und vorurteilsbelastete Beschreibungen beinhalteten. Die weißen Protagonist*innen würden stets als „klug, zugehörig und wirkmächtig“ porträtiert. Dr. Madubuko stellte klar, wie elementar es sei, die Lernumgebung der Kinder genau zu prüfen, da Kinder diese Vorlagen übernehmen und in ihr eigenes Weltbild integrieren würden.
Eine sehr wichtige Rolle komme bei rassistischer Diskriminierung in Kindertageseinrichtungen den pädagogischen Fachkräften zu. Ganz zentral sei hier, dass viele Erzieher*innen unsicher seien und rassistische Handlungen teils selbst nicht als solche erkennen würden. Es fehle oftmals an Fachwissen und Handlungssicherheit, um einen entsprechenden Diskriminierungsschutz in der Einrichtung zu gewährleisten. In der Folge komme es beispielsweise zu einer vermeintlich positiven Überbetonung von Merkmalen bei Kindern, etwa von Herkunft, Religion oder Hautfarbe, oder zu einer Abwehr und Verharmlosung bei rassistischen Situationen. Dr. Madubuko beschreibt in Anlehnung an die Studie von Dr. Bostancı Situationen, in denen Eltern bei einer Beschwerde einen solchen verharmlosenden oder blockierenden Umgang erlebt hätten und seitens der pädagogischen Fachkräfte Sätze wie „Die haben das nicht so gemeint“ oder „Das war doch gar nicht so schlimm“ gefallen seien.
In einer anschließenden Übung konnten die Teilnehmenden gemeinsam ihre Gedanken und Erfahrungen zu den Fragen sammeln, welche Rolle die Erzieher*innen beim Thema Rassismus in Kitas hätten, wie Kinder rassifiziert würden und rassistische Botschaften erlernen würden. Die Teilnehmenden gaben dabei etwa an, dass Erzieher*innen in einer machtvollen Position seien und Erfahrungen legitimieren oder deligitimieren könnten. Sie seien auch in der Verantwortung, Kindern dabei zu helfen, die Situation entsprechend einzuordnen und gegebenenfalls zu intervenieren.
Im anschließenden Teil des Workshops erläuterte Dr. Madubuko die Wirkungsebenen von Rassismuserfahrungen bei Kindern. Sie erklärte, wie die Erfahrungen Kinder in ihrem Kindeswohl gefährden und beeinträchtigen würden und dies dem Kinderschutzauftrag der Einrichtung entgegenstehe. Rassistische Diskriminierung werde als eindeutiger Risikofaktor für die Gesundheit eines Kindes anerkannt und könne sowohl psychische als auch physische Auswirkungen haben. Ein dauerhaft erhöhtes Stresslevel der Kinder und ein beeinträchtigtes Immunsystem könne ebenso die Folge sein wie Depressionen, Angstzustände oder psychosoziale Störungen.
Die Referentin betonte, dass Normalitätsvorstellungen in den Köpfen nicht über Nacht zu ändern seien und es deshalb umso wichtiger sei, über rassistische Diskriminierung zu sprechen, um den Veränderungsprozess kontinuierlich anzuregen. Madubuko ergänzte ihre Ausführungen mit Filmausschnitten aus einem Video zu Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen.
Anschließend beschäftigte sich der Workshop mit der Frage, wie eine Kindertageseinrichtung zu einem sicheren und diskriminierungsfreien Ort werden könne. Dr. Madubuko erläuterte dazu ihren Ansatz der empowerment-orientierten und diskriminierungssensiblen Kita anhand des Bilds einer Pyramide: Das Fundament einer kompetenten Einrichtung sei dabei Haltungs- und Wissenskompetenz, die Basis-Ebene Verhaltenskometenz, die angemessene Umgangsweisen und Interventionsmöglichkeiten beinhalte sowie eine Ausstattung, die vielfältige Identitäten fördern und sichtbar machen könne. An der Spitze stünden Safer Spaces (geschützte Räume), die ein Empowerment fördern könnten.
Dr. Madubuko verwies auf verschiedene Reflexionsfragen, die eine Einrichtung dabei zur Überprüfung nutzen könne:
- Wer ist sichtbar und wer nicht? Wird eine homogenisierte Lebenswelt vertreten?
- Wer wird als klug, zugehörig, schön gezeigt? Gibt es einen defizitär-kulturalisierenden Blick?
- Welche Auswahl an identitätsstärkenden Materialien wurde getätigt?
- Werden Diskriminierungen angesprochen und besprochen? Gibt es einen kompetenten und verlässlichen Diskriminierungsschutz?
Der letzte Teil des Workshops beschäftigte sich mit konkreten Interventionsmöglichkeiten. In einer Übungsphase konnten die Teilnehmenden die Workshop-Inhalte anhand eines Praxisbeispiels reflektieren und mögliche Handlungsoptionen diskutieren. Im anschließenden Plenum wurden Herangehensweisen besprochen und betont, wie wichtig es sei, eine diskriminierende Situation als Lernchance für die Beteiligten zu begreifen. Ein Nichtansprechen würde zu einer Normalisierung des Gesagten führen, deshalb sei ein kompetentes Eingreifen und eine klare Botschaft unbedingt nötig, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Ebenso wichtig sei es, das betroffene Kind zu validieren und empowern.
Zum Abschluss verwies Dr. Madubuko noch auf ihren neuen Online-Selbstlernkurs „Empowermentorientierung & Rassismuskritik in der pädagogischen Praxis“, der aus acht Modulen bestehe und mit einem Zertifikat abgeschlossen werden könne. Der Kurs werde 2025 starten. Anfragen könnten unter www.nkechi-madubuko.de/kontakt mit dem Stichwort „Selbstlernkurs“ gestellt werden.
Mehr über die Referentin des Workshops, Dr. Nkechi Madubuko, erfahren Sie in unserem Expertinnenpool.