Stimmen aus der Praxis: Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) ist seit 2001 Anlaufstelle für alle, die bei konkreten rechtsextremen, rechtspopulistischen, rassistischen, antisemitischen oder verschwörungsideologischen Vorfällen sprech- und handlungssicherer werden wollen, ob im beruflichen oder im privaten Kontext. Die MBR gehört dem Bundesverband Mobile Beratung (BMB) e.V. an, der als Dachverband rund 50 Mobile Beratungsteams bundesweit vernetzt und ihre Expertise bündelt. Wir sprachen mit Manja Kasten und Matthias Müller, die als mobile Berater*innen bei der MBR tätig sind, über ihre Arbeit und Beratungstätigkeiten im Bereich der Kindertagesbetreuung.

 

Sie arbeiten beide als mobile Berater*innen gegen Rechtsextremismus. In welchen Situationen wenden sich Menschen an Sie?

Im Laufe ihrer langjährigen Beratungspraxis hat die MBR ganz unterschiedliche Menschen und Organisationen, Vereine, Gruppen, Verwaltung und Politik sowie Betriebe in allen Berliner Bezirken unterstützt. Menschen aus dem weiten Feld der Sozialen Arbeit und auch aus Bildungseinrichtungen fragen uns sehr häufig zum professionellen Umgang mit rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Aussagen und Vorfällen an. Zivilgesellschaftliche Initiativen fragen oft eine Beratung zum Umgang mit rechtsextremen Bedrohungen an. Unser Team entwickelt vor Ort mit den Menschen passgenaue Handlungsstrategien – auch langfristig und präventiv. Neben der Beratungsarbeit und der fachlichen Begleitung von Prozessen bietet die MBR auch Qualifizierungen für Multiplikator*innen an, etwa in Form von thematischen Workshops und Vorträgen.
 

Die MBR berät auch zum Umgang mit Rechtsextremismus im Kontext der Kindertagesbetreuung. Mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen - wie häufig werden Fälle aus diesem Bereich an Sie herangetragen? Wie sehen diese aus?

Es gibt verschiedene Wege, auf denen die Einrichtungsleitung oder die Mitarbeitenden von einer rechtsextremen Orientierung oder sogar Aktivitäten von Teammitgliedern, Dienstleistern, aber auch von Eltern erfahren können. Typische Fälle waren in der vergangenen Beratungspraxis beispielsweise: Eltern stoßen im Internet zufällig auf rechtsextreme Aktivitäten einer Erzieherin der Kita ihres Kindes. Die Leitung wird anonym per E-Mail informiert, dass einer ihrer Mitarbeitenden an einem rechtsextremen Aufmarsch teilgenommen und sogar das Fronttransparent getragen hat. Oder es wird im Feedbackgespräch zum Praktikumsende von wiederholten rassistischen Kommentaren einer pädagogischen Fachkraft in der Arbeit mit Kindern sowie unter Kolleg*innen berichtet.
 

Wie sieht Ihre Beratungstätigkeit im Bereich der Kindertagesbetreuung konkret aus? Welche präventiven und langfristigen Handlungsstrategien und Lösungsansätze können Betroffenen beim Umgang mit rechtsextremen Einstellungen und Verhaltensweisen helfen?

Jeder Fall ist anders gelagert, und daher gibt es für den Umgang mit Rechtsextremismus im Kita-Kontext auch keine verallgemeinerbaren Rezepte oder Patentlösungen. Welche Handlungsmöglichkeiten in welcher Situation möglich oder nötig sind, hängt von vielen Faktoren ab. Die MBR hilft beispielsweise, zu Beginn eines Beratungsprozesses Klarheit über folgende Fragen herzustellen: Wie zeigt sich die rechtsextreme Ideologie bei der Person? Wie eingebunden ist sie womöglich in rechtsextreme Gruppierungen? Welche Werte und Normen werden in den Arbeitsteams und im Träger gelebt? Welche Ressourcen, ob zeitlich oder personell, stehen überhaupt für eine Problembearbeitung zur Verfügung? Welche Zuständigkeiten und Dienstwege sind dabei einzuhalten? In der Beratung wird versucht, möglichst viele individuelle Aspekte zu berücksichtigen. So ergeben sich dann unterschiedliche Optionen, ins konkrete Handeln zu kommen.

Grundsätzlich sollte sich möglichst früh Unterstützung geholt werden – aus den Strukturen des Trägers, des Vereins oder auch aus anderen Teams. Gemeinsam können dann die Konsequenzen unterschiedlicher Handlungsoptionen erörtert und Strategien durchgespielt werden, Zuständigkeiten geklärt, direkte und transparente Kommunikationswege festgelegt sowie das Heranziehen zusätzlicher Expertise beschlossen werden. Schon präventiv können sich pädagogische Fachkräfte oder Mitarbeitende durch Schulungen und Workshops sensibilisieren, beispielsweise  zu Themen wie dem Erkennen von rechtsextremen Codes und Symbolen, zum Umgang mit rechtsextremen, rassistischen oder verschwörungsideologischen Aussagen oder – auf der Leitungsebene – zur Entwicklung demokratischer Leitbilder, Hausordnungen oder Verträgen. Dies ist die Basis, um eine demokratische Kultur und die berufsethische Haltung im Kita-Alltag für alle transparent kommunizieren zu können und praktisch erfahrbar zu machen.
 

Gibt es auch Situationen, in denen der rechtliche Handlungsspielraum begrenzt ist? Können Sie eine Einschätzung dazu geben, wann sich rechtsextreme Aussagen und Handlungen im Feld der Kindertagesbetreuung im rechtlichen Graubereich befinden und es schwierig ist, dagegen vorzugehen?

Strafrechtlich relevante Vorfälle sind Ausnahmen. Meist geht es um problematische Aussagen, die zwar nicht strafbar sind, aber doch einen mehr oder weniger klaren rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen oder diskriminierenden Inhalt haben, der nach professionellen Standards zurückgewiesen werden muss. Nicht selten finden Vorfälle auch ohne direkten Bezug zur Kita oder nicht während der Arbeitszeit statt. Trotzdem kann es indirekt die Rechte der Kinder berühren, beispielsweise das Recht auf Schutz vor Diskriminierung sowie auf eine Bildung, die sie auf ein verantwortungsbewusstes und aktives Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorbereitet.

Rechtsextremismus verneint die Gleichwertigkeit aller Menschen und stellt die demokratische Gesellschaft sowie deren Institutionen infrage. Rechtsextremen Aussagen oder Handlungen sollte deshalb immer widersprochen werden, und es sollten rote Linien aufgezeigt werden, die nicht zu übertreten sind. Solche klaren Signale sind wichtig, denn sie zeigen, dass ein bestimmtes Verhalten problematisch ist und nicht geduldet wird. Es geht vor allem darum, für alle Kinder einen sicheren, diskriminierungs- und angstfreien Ort zu schaffen und ihnen Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz vermitteln zu können – und dafür sind eine eindeutige Positionierung und eine demokratische Haltung in jedem Fall wichtige Grundlagen.

Wenn es um eine bestimmte Mitarbeiterin oder einen bestimmten Mitarbeiter geht und sich im Einzelgespräch herausstellt, dass das rechtsextreme Weltbild oder die demokratiefeindlichen Einstellungen tief verwurzelt sind und dass dadurch die berufsethischen Prinzipien infrage gestellt werden, sollten arbeitsrechtliche Schritte geprüft werden.
 

Nehmen Sie ein Erstarken bezüglich der Nachfrage nach Ihrer Beratungsarbeit im Bereich der Kindertagesbetreuung wahr? Welche gesellschaftlichen/politischen Bedarfe sehen Sie in Ihrer täglichen Arbeit? Haben Sie Forderungen an die Politik?

Schon seit Jahren zeigt sich das Erstarken demokratiefeindlicher und rechtsextremer Kräfte in den Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien und in der Zunahme von Anfeindungen und Angriffen gegenüber demokratischen Akteur*innen. Dieses Erstarken wird auch in der Kindertagesbetreuung deutlich. Was zuletzt stärker zugenommen hat, sind queerfeindliche Angriffe und Anfeindungen von rechtsextremen Akteur*innen insbesondere gegen Regenbogen-Kitas oder pädagogische Konzepte, die Kinder darin bestärken, andere Lebensweisen und -welten kennenzulernen.

Es ist eine generell zunehmende Nachfrage nach unseren Angeboten aus allen gesellschaftlichen Bereichen bemerkbar. Das ist einerseits schlecht, weil es bedeutet, dass die Akteur*innen einem erhöhten Druck ausgesetzt sind. Andererseits wenden sich auch viele Anfragende an uns, weil sie durch diese gesellschaftliche Entwicklung sensibilisiert worden sind, ihr etwas entgegensetzen und sich ihrer eigenen demokratischen Werte versichern wollen – das ist natürlich positiv. Für die Vertreter*innen der demokratischen Parteien ergibt sich die Aufgabe, für die finanziellen Sicherung des frühkindlichen Bildungsauftrags und für Maßnahmen zur Demokratiebildung auf allen Ebenen zu sorgen. Genauso wichtig ist aber auch die Rückendeckung für all diejenigen, die sich für eine demokratische Kultur einsetzen und deshalb angegriffen oder angefeindet werden.
 

Herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

©MBR/Christian Mang und MBR/Johanna Hoffmann